faule ARBEIT I-III 2006-08
Ein immaterieller Gedankenraum

Faule Arbeit ist die Arbeit der Zukunft, die vom Kapitalerwerb entkoppelt ist und auf dem
freien Selbstbestimmungsrecht beruht. Eine tägliche Emanzipation ist Vorraussetzung für eine
wirklich gewollte Tätigkeit.

Faule Arbeit ist kein konkretes Produkt, Kunstwerk oder Objekt sondern eine Vision, die ich
während meines Diplomsemester entwickelt habe. Sie bezieht sich auf einen Freiraum, als
Arbeit zur Weiterentwicklung der Menschlichkeit.

Berlin Deutschland | Ausstellung Studio im Hochhaus | 2011 | Multimedia Installation

 

Sie ist eine Ideologie die auf den Theorien von Fridhjof Bergmann und Götz Werner beruhen.
Die Vision von Bergmann teilt die Arbeitzeit in drei Teile: Herkömmliche Erwerbsarbeit,
Arbeit für die Gesellschaft und selbstgewählte Arbeit. Werners Vision sichert jedem
Bundesbürger das Überleben durch ein Bürgergeld, so daß nur noch selbstgewollte
Tätigkeiten ausgeführt werden.

Aus Gründen der produktiven Faulheit haben die Menschen angefangen, Ideen zu
entwickeln, um Zeit, Mühen und Aufwand einsparen zu können. Aus der Faulheit heraus
domestizierte er wilde Tiere und entwickelte Computer, um Rechenaufgaben zu lösen. Die
heutige Erwerbsarbeitslosigkeit ist so der Erfolg der Faulheit. Die Faulheit ist somit ein Motor
für neue Ideen zur Steigerung der Lebensqualität.

Arbeitsplatz Produktions Einheit | Happening | Berlin Deutschland | 2007 | digitale Zeichnung 35 x 45 cm


Das Faulsein, die Erholung, das Nichts tun. Der etymologische Ursprung des Wortes ’ÄòFaulheit’Äô
geht auf das Verderben von Obst, Gemüse und Fleisch zurück und bezeichnet eine
Überreife. Das Gären von Hopfen und Malz erzeugt Bier. So verstehe ich das Faulsein, als
Prozess des Gärens, in dem ein Zustand neu definiert wird. Die alten Griechen haben diesen
Zustand Muße genannt.

In meiner Diplompr¨fung fand der erste Teil statt und zeigte eine absurde Maschine, die
Kissen mit dem Wort ARBEIT bedruckt - Der Arbeitsplatz.

Fliegende Arbeitsplˆ§tze | Berlin Deutschland | 2007

Der zweite Teil, der faulen ARBEIT, präsentierte sich auf der Diplomausstellung der Malerei
und Bildhauerei der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Ich schlüpfe in die Rolle eines
Vertreters und versuche die Besucher von den Arbeitsplatz zu überzeugen. Die Besucher
finden sich in einer zweiteiligen Installation wieder, die im hinterem Raum aus einem Berg
von Arbeitsplätzen besteht und im Vorderen aus einen großen mechanischen Hammer.
Beide Teile können durch die Gäste bedient werden.

faule ARBEIT II | Happening | Berlin Deutschland | 2007 | digitale Zeichnung 35 x 45 cm

 

Kinder bei der ARBEIT | Berlin Deutschland | 2007 | digitales Foto

 

Der dritte Teil fand am 1. Mai 2008 im Berliner Stadtraum statt. Ich ziehe an diesem Tag der
Arbeit mit meinem voll mit Arbeitsplätzen bepackten Bollerwagen durch die Stadt und frage
Passanten auf der Straße, ob ich ihnen einen Arbeitsplatz schenken darf.
_Patrick Timm


Cornelia Gellrich schrieb am 7. Februar 2007 in der Berliner Zeitung über Schnarchkunst:

«Faul in den Kissen rumlümmeln und vor sich hinsinnieren - das war doch schon immer
Ziel menschlicher Bemühungen. Dafür wurden Maschinen erfunden und Computer,
wurden Tiere domestiziert und andere Menschen. Die Arbeit der Pechvögel dient der Muße
der Glückspilze. Letztere müssen sich beispielsweise ihr Essen nicht selbst kaufen und
kochen, wenn erstere als Köche und Kellner tätig sind.

Wer klug ist, versucht, aus der eigenen Arbeit einen möglichst großen Mehrwert zu ziehen,
der aussieht wie Geld, sich aber bei genauerem Hinsehen als Müßiggang entpuppt. Je mehr
verdient wird, desto mehr Hausangestellte sind drin, und im Urlaub kann der Campingplatz
dem Hotel weichen.

Patrick Timm beispielsweise, Bildhauer-Diplomand der Kunsthochschule Berlin-Weißensee,
hat mit einigem kreativen Kraftaufwand eine Maschine entwickelt, die ihm und überhaupt
der ganzen Welt das Leben in Zukunft sehr viel einfacher machen wird: Es handelt sich um
ein ziemlich großes, relativ kompliziert wirkendes Ungetüm. Die Einzelteile der etwa zwei
Meter hohen und drei Meter breiten Maschine könnten auf dem Sperrmüll zusammengesucht
worden sein. Oben drauf steht ein Rollstuhl, davor mit Drähten versehene Schuhwracks und
Krücken.

Eine künstlerische Hilfskraft füttert die Maschine mit Kissen, die sie vorne auf eine Art
Förderband aus Stoff wirft, während der Künstler selbst mit Hilfe des Rollstuhls, der Schuhe
und kniffliger motorischer Tätigkeit von Armen, Händen, Füßen, Beinen, das
Kissen aufhält, eine Schablone draufdrückt, Sprühdosen in Gang
setzt, das Kissen wieder frei lässt, es mit Föns und Ventilatoren
bebläst und anschließend hinten aus der Maschine plumpsen lässt. Das Ergebnis dieses etwas
aufwändigen Arbeitsprozesses ist also ein weicher Haufen weißer Kissen, die der blaue
Schriftzug Arbeit ziert.

Diese hübsche Erfindung heiˆüt "Faule Arbeit".
Es gibt nämlich die unterschiedlichsten Arten von Arbeit: Da wäre erst einmal die
Erwerbsarbeit, die heute oftmals für die einzig wahre gehalten wird, obwohl sie
in der griechischen Antike nichts weiter war als das
traurige Los der unteren Schichten. Dann gibt es die Hausarbeit, die weder Geld kostet noch
einbringt, es sei denn, sie wird zur Erwerbstätigkeit für Dritte umgemünzt. Die künstlerische
Betätigung, das kreativ und erfinderisch sein ist auch eine Form von Arbeit - die sich leider
nur unerfreulich selten zur Erwerbsarbeit mausert.

Die Ideenfindung nennt Timm also faule Arbeit. Für ihn bilden diese beiden Begriffe keinen
Gegensatz. Denn der Apfel, der fault, entwickelt sich ja durchaus - er entfernt sich nur von
seiner Nutzbarkeit, und der Prozess, der zu seiner Veränderung führt, ist äußerlich nicht
sichtbar. So wie man Patrick Timms Kopf, der faul in den Kissen liegt, seine Konzipierung des
nächsten Projektes nicht ansieht.

Also ist jedes dieser Kissen ein vom Künstler geschaffener
Arbeitsplatz. Und den kann man für fünf Euro kaufen.

Das Problematische an der kreativen Faularbeit ist nur, dass nie alle ihr nachgehen können.
Während Patrick Timm gemütlich in seinen Kissen vor sich hinbrütet, müssen zwei andere
die Maschine zur Kissenproduktion betätigen. Die geistige Arbeit der einen wird ermöglicht
durch die körperliche Schinderei der anderen. Deswegen der Rollstuhl mitsamt Krücken.

Und was macht man da jetzt? Am besten trotzdem faul sein, sich möglichst nicht rühren, weil
dabei ja vielleicht weitere Möglichkeiten zur Umgehung von menschlicher Arbeit entstehen
könnten.

Ursprünglich wollte Patrick Timm seine Maschine nicht im Foyer der Kunsthochschule
Weißensee präsentieren, sondern in der Agentur für Arbeit Berlin Mitte.
Diplomwerke junger Künstlern auszustellen, stieß dort auf Begeisterung, diese besondere
Diplomarbeit allerdings nicht. Sie müssten ihm leider absagen, wurde Timm beschieden,
wegen des ohnehin schon schlechten Images ihrer Agentur.

Irgendwie ist das ja verständlich - ginge die Apparatur mit Namen "Faule Arbeit" in der
Agentur für Arbeit ihrer Arbeit-Kissen-Produktion nach, könnten doch manche daraus den
völlig irrwitzigen Schluss ziehen, die Angestellten der Agentur würden - statt Anträge zu
bearbeiten - faul in den Kissen lümmeln.»


Impressum
Fotos: Jörg Broksch (Videostills), Heike Overberg, Patrick Timm |
Übersetzung: Lucinda Rennison (Englisch), Alta Lingua / Anna Chalissowa (Russisch) | Grafik:
Patrick Timm | Dank: Hanno Gundert, Jörg Broksch, Marina Goiny (Alta Lingua), Raimund
Binder, Gudrun Donath |

Ein Projekt von Patrick Timm

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